QS-Verfahren
Patientenbefragung
Das Projekt des IQTIG besteht aus 2 Entwicklungssträngen, deren Ergebnisse sich ergänzen und ein gemeinsames Indikatoren-Set bilden. (s. Methodische Grundlagen S. 52 f.)
- Datenerhebung in der Praxis: Instrumente und Dokumentationsvorgaben für die Psychotherapeuten (mehr s. Datenerhebung in der Praxis)
- Datenerhebung bei den Patienten: Patientenbefragung
Neben den Indikatoren und Dokumentationsvorgaben für die Praxis entwickelt das IQTIG auch Fragebögen für die Patienten.
Auftrag des G-BA
- Um die Patientenperspektive abzubilden, soll ein validierter Patientenfragebogen entwickelt werden.
- Der Patientenfragebogen soll die Qualitätsmerkmale aufgreifen, die am besten über eine Patientenbefragung abgebildet werden können (qualitätsrelevante Prozesse und – soweit sachgerecht abbildbar – patientenbezogene Ergebnisqualität)
- Aufgrund der kleinen Fallzahlen je Leistungserbringer ist der Nutzen eines längeren, z.B. 2-jährigen Beobachtungszeitraums zu überprüfen.
- Die Validierung der Instrumente folgt den wissenschaftlich üblichen Standards und trifft Aussagen zur Objektivität, Validität und Reliabilität des Fragebogens
Entwicklung des Patienten-Fragebogens
Aktuell führt das IQTIG einen Pretest des Fragebogens durch. Es hat die niedergelassenen Psychotherapeuten zur Beteiligung aufgerufen, der Pretest läuft von September 2020 bis März 2021.
Der Fragebogen selbst und der Bericht zur Entwicklung des Fragebogens sind nicht veröffentlicht.
Das bedeutet: die teilnehmenden Psychotherapeuten sollen ihren Patienten die Teilnahme empfehlen, und persönliche Daten (Adresse, Alter und Geschlecht) ihrer Patienten an eine Auswertungsstelle weitergeben, ohne Forschungsdesign, Datenschutzkonzept und den Fragebogen selbst zu kennen.
Einige Berufsverbände haben sich kritisch zu dieser Intransparenz geäußert, und ihren Mitgliedern abgeraten, sich zu beteiligen.
Um trotzdem schon eine Vorstellung zu bekommen, wie so ein Fragebogen aussehen könnte:
Für das QS-Verfahren Schizophrenie ist bereits ein Patientenfragebogen entwickelt worden. Auf der Website zu Patientenbefragungen wird der Entwicklungsprozess beschrieben, und der Fragebogen (3 Versionen, für Klinik, Ambulanz und Praxis) veröffentlicht.
Der Fragebogen erfragt Erfahrungen der Patientinnen mit den Behandlerinnen bezüglich Kommunikation, Aufklärung, Behandlungsplanung, und auch einige Fragen zum Behandlungsergebnis.
Durchführung der Patientenbefragung im Rahmen des QS-Verfahrens
Soweit bisher bekannt ist, wird im Rahmen des QS-Verfahrens neben der Datenerhebung in den Praxen eine Befragung der Patientinnen stattfinden, in die die Psychotherapeutinnen nicht einbezogen sind. Sie erfahren das Ergebnis der Befragung ihrer Patientinnen nur in anonymisierter Form.
Überlegungen zu der geplanten Form der Patientenbefragung im Rahmen des QS-Verfahrens, und zur aktuellen Entwicklung des Fragebogens:
Überprüfbarkeit der Aussagen
Patientenangaben sind nicht objektiv, sie sind immer subjektiv gefärbt und können sogar falsch sein (z.B. bei der Frage, ob etwas stattgefunden hat, z.B. Therapieaufklärung), weil die Patienten etwas vergessen, missverstanden usw. haben, oder weil eine positive oder negative Übertragung ihre Wahrnehmung verzerrt. Aufgrund der Anonymisierung hat der Psychotherapeut keine Möglichkeit, abzugleichen, ob eine Aussage mit seiner Wahrnehmung übereinstimmt.
Förderung der Qualität
Die Anonymisierung widerspricht dem Ziel der Qualitätsförderung: Wenn die Psychotherapeutin keine personenbezogene Rückmeldung erhält, kann sie die Rückmeldung der Patientinnen nicht in einen Kontext setzen, somit wenig davon profitieren.
Auswirkungen auf die therapeutische Beziehung
Das Konzept sieht offenbar nicht vor, dass Patient und Therapeut sich über den Fragebogen austauschen, dass er zum Gegenstand des therapeutischen Prozesses wird. Sondern das IQTIG oder ein externer Dienstleister schickt den Patienten die Fragebögen zu, und sammelt sie wieder ein.
Das bedeutet: Themen, die eigentlich in die therapeutische Beziehung und in die gemeinsame Reflektion oder Auseinandersetzung gehören, werden ausgelagert an eine externe Stelle.
Das belastet das Vertrauensverhältnis zwischen Psychotherapeutin und Patientin: Die Psychotherapeutin weiß nicht, was ihre Patientin gegenüber einer externen Stelle über sie und ihre Arbeit äußert, weiß aber, dass es berufliche Konsequenzen für sie haben kann. Das schwingt von Anfang an in der Therapie mit, es kann dazu führen, dass Psychotherapeuten sich nicht mehr frei fühlen, fachlich angemessen zu arbeiten, z.B. Patienten mit für sie unangenehmen Themen zu konfrontieren, oder Patienten in Behandlung zu nehmen, von deren Krankheitsbild oder Persönlichkeitsstruktur her aggressives und destruktives Agieren zu erwarten ist.
Oder sie paktieren mit ihren Patienten gegen das Auswertungszentrum, und besprechen mit ihnen, wie sie den Fragebogen ausfüllen. Falls die QS-Erhebung auch die Funktion bekäme, über die Fortführung der Behandlung zu entscheiden („Ersatz“ des Gutachterverfahrens), könnten Psychotherapeuten sich versucht fühlen, ihre Patienten zu beraten, wie sie den Fragebogen ausfüllen sollen, um weitere Stunden genehmigt zu bekommen. (s. Umgang mit Dokumentation in den Kliniken bezüglich MdK-Überprüfungen) – Auch das wirkt sich schädlich auf die Therapie aus, in der es zentral um Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber geht.
Für die psychodynamischen Verfahren bedeutet es: Übertragung und Gegenübertragung, die das Medium des therapeutischen Prozesses sind, werden beeinflusst und beeinträchtigt. Es entstehen zusätzliche Abhängigkeits- und Macht-Konstellationen, nicht nur in der therapeutischen Zweier-Beziehung, sondern darüber hinaus mit einer externen Instanz, die eventuell nicht bearbeitbar und auflösbar sein werden. Das ist eine Erschwerung der Therapie, die zur Verschlechterung der Qualität führen kann.
In der geplanten Form ist die Patientenbefragung ein erheblicher Eingriff in die Therapie. Der G-BA widerspricht sich in gewisser Weise selbst, wenn er vorgibt: „Es ist sicherzustellen, dass das QS-Verfahren nicht in den therapeutischen Behandlungsprozess eingreift z.B. durch die Vorgabe bestimmter Psychologischer Testverfahren.“ und gleichzeitig eine Patientenbefragung in Auftrag gibt. Denn so ein Fragebogen ist auch nichts anderes als ein Test, nur dass er nicht während der Therapie vom Therapeuten eingesetzt wird, sondern außerhalb der Therapie von einer externen Stelle.
Wissenschaftliches Vorgehen beim Pretest
„Die Validierung der Instrumente folgt den wissenschaftlich üblichen Standards und trifft Aussagen zur Objektivität, Validität und Reliabilität des Fragebogens.“ (Beauftragung G-BA)
Man kann davon ausgehen, dass das IQTIG die Vorgaben der DSGVO und die wissenschaftlich üblichen Standards einhält. Allerdings gehört dazu auch ein transparentes, nachvollziehbares Vorgehen, das bei diesem Pretest fehlt.
Beim IQTIG-Projekt erfährt ein zur Mitarbeit aufgerufener Psychotherapeut nichts zum Forschungsdesign, nichts darüber, welche Wissenschaftler den Fragebogen entwickeln (es werden nur Ansprechpartner genannt), nichts über die Auswertung der Daten, nichts über Ethikkommission, und nicht einmal den Fragebogen bekommt er zur Kenntnis. Er erfährt, dass die Daten und die Fragebögen an eine „Stelle“ (= „externer Dienstleister“) gehen; es wird betont, dass für das IQTIG die Daten anonym sind, aber das berührt nicht die Bedenken, dass ein „Dienstleister“ Daten von Patienten, Psychotherapeuten, und deren Beurteilungen in den Fragebögen offen vorliegen hat.
Etwas mehr über den externen Dienstleister Info GmbH, Markt- und Meinungsforschung, erfährt man auf einer Unterseite der IQTIG-Website zum Pretest.
Die Kritik eines Berufsverbandes, die in einem Artikel im Ärzteblatt Psychotherapie: Streit um Patientenfragebögen des IQTIG (28.5.2020) zitiert wird, weist der Pressesprecher des IQTIG zurück:
„Die Methodik zur Entwicklung des Patientenfragebogens basiert auf hohen wissenschaftlichen Standards und ist nachzulesen in den öffentlich frei zugänglichen methodischen Grundlagen des IQTIG“.
Das Methodenpapier beschreibt allerdings die Entwicklung von Patientenfragebögen nur ganz allgemein und abstrakt, zur konkreten Entwicklung dieses Fragebogen wird es „öffentlich frei zugängliche“ Informationen erst nach der Freigabe des Abschlussberichtes – also gegen Ende 2022 – geben.
„Der DPtV-Vorsitzende befürchtet darüber hinaus Nachteile für die Patienten, weil die Ergebnisse der Befragung pseudonymisiert seien, so dass die Psychotherapeuten keine ergänzende Erklärung zu Einzelbewertungen abgeben können. „Das kann langfristig zu einer Vermeidung ‚schlechter Risiken‘ führen“, warnte Hentschel. Patienten, die auf Grund ihres Krankheitsbildes oder ihrer Persönlichkeitsstruktur zu negativen Bewertungen neigten, könnten es schwerer haben, einen Therapieplatz für eine Richtlinienpsychotherapie zu finden.
Auch diese Kritik ist nach Ansicht des IQTIG unberechtigt. Die Patienten würden als mündige Personen in einem geschützten Raum nach ihren Erfahrungen gefragt. „Inwieweit dies im Sinne einer Risikoselektion nachteilig für sie sein soll, erschließt sich nicht, da der G-BA vorgesehen hat, dass eine Rückverfolgung zu dem im Einzelfall behandelnden Psychotherapeuten nicht möglich sein wird“, erklärte IQTIG-Pressesprecher Kinert.“ (Ärzteblatt 28.5.2020)
Falls der Pressesprecher hier richtig zitiert wird, stimmt 1. die Aussage nicht (die Äußerungen der Patienten können sehr wohl den behandelnden Psychotherapeuten zugeordnet werden, nur umgekehrt nicht: die Psychotherapeuten können nicht rückverfolgen, von welchem Patienten sie kommen), und 2. versteht er offenbar die Problematik nicht, die der DPtV-Vorsitzende angesprochen hat.
Das IQTIG hätte die Möglichkeit gehabt, diesen ersten direkten Kontakt der Psychotherapeuten mit dem bevorstehenden QS-Verfahren als vertrauensbildende Maßnahme so zu gestalten, dass die Psychotherapeuten sich mit ihren Besonderheiten bezüglich Datenschutz, therapeutischer Beziehung usw. ernstgenommen fühlen. Aber in dieser Form löst es wohl eher Befremden aus.
19.10.2020
Beatrice Piechotta - Rosmarinstr. 12 L - 40235 Düsseldorf - eMail: kontakt@qs-psychotherapie.de