QS-Verfahren

Meine Stellungnahme zur Patientenbefragung

Grundsätzlich finde ich es gut, dass Patienten zu ihren Erfahrungen in der Psychotherapie gefragt werden und sich dazu äußern können, und dass ihre Psychotherapeutinnen diese Rückmeldung erhalten und für die Verbesserung der Behandlung(en) nutzen. Allerdings hängen m.E. ihre Möglichkeiten und Grenzen stark von der Art der Durchführung und den Inhalten der Befragung ab. (s. z.B. eigene Erfahrungen mit einem entsprechenden Projekt QNAP)
Zur Patientenbefragung, wie sie im QS-Verfahren AmbPT vorgesehen ist, bezieht sich meine Kritik auf verschiedene Ebenen. Die Beurteilung des wissenschaftlichen Vorgehens bei der Entwicklung des Fragebogens muss ich Psychologinnen überlassen (ich freue mich über Rückmeldungen dazu), aber trotzdem stellen sich mir auch dazu einige Fragen.

Erheblicher Eingriff in den Behandlungsprozess und in die therapeutische Beziehung

Der G-BA schreibt in seinem Auftrag an das IQTIG: „Es ist sicherzustellen, dass das QS-Verfahren nicht in den therapeutischen Behandlungsprozess eingreift z. B. durch die Vorgabe bestimmter Psychologischer Testverfahren.“
Offensichtlich glauben G-BA und IQTIG, nur weil die Patientenbefragung nach Ende der Behandlung stattfindet, und weil sie nicht „Testverfahren“, sondern „Patient related outcome“ genannt wird, habe sie keinen Einfluss auf den Behandlungsprozess?

Das QS-Konzept sieht nicht vor, dass der Fragebogen Teil des therapeutischen Prozesses wird, dass Patientin und Psychotherapeutin sich über die darin enthaltenen Fragen austauschen und im direkten Kontakt an einer Verbesserung der Qualität arbeiten. Themen, die eigentlich in die therapeutische Beziehung und in die gemeinsame Reflexion und Auseinandersetzung gehören, werden aus der therapeutischen Beziehung ausgelagert und zur externen Beurteilung der Psychotherapeutin benutzt.
Das belastet das Vertrauensverhältnis zwischen Psychotherapeutin und Patientin: Die Psychotherapeutin weiß nicht, was ihre Patientin gegenüber einer externen Stelle über sie und ihre Arbeit äußern wird, weiß aber, dass es berufliche Konsequenzen für sie haben kann. Das schwingt von Anfang an in der Therapie mit, es kann dazu führen, dass Psychotherapeuten sich nicht mehr frei fühlen, fachlich angemessen zu arbeiten, z.B. Patienten mit für sie unangenehmen Themen zu konfrontieren, oder Patienten in Behandlung zu nehmen, von deren Krankheitsbild oder Persönlichkeitsstruktur her aggressives Agieren, und damit eine schlechte Bewertung zu erwarten ist. Oder sie könnten versucht sein, mit ihren Patienten gegen das Auswertungszentrum zu paktieren, und mit ihnen zu besprechen, wie sie den Fragebogen ausfüllen. Auch das wirkt sich schädlich auf die Therapie aus, in der es zentral um Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber geht.
Für die psychodynamischen Verfahren bedeutet es: Übertragung und Gegenübertragung, die das Medium des therapeutischen Prozesses sind, werden beeinflusst und beeinträchtigt. Es entstehen zusätzliche Abhängigkeits- und Macht-Konstellationen, nicht nur in der therapeutischen Beziehung, sondern darüber hinaus mit einer externen Instanz, die eventuell nicht bearbeitbar und auflösbar sein werden. Das ist eine Erschwerung der Therapie, die zur Verschlechterung der Qualität führen kann.

Außerdem ist die Behandlung oft noch garnicht zu Ende, wenn die Ziffer 88130/1 eingegeben und damit die Patientenbefragung ausgelöst wird: oft läuft noch die Rückfallprophylaxe, oder die Behandlung geht mit HIlfe der Gesprächsziffern oder von den Patientinnen selbst finanziert weiter. Die Patientinnen werden also in einen Loyalitätskonflikt gebracht, einer äußeren Stelle etwas möglicherweise Kritisches über die Behandlung mitzuteilen, das sie ihrer Psychotherapeutin nicht oder nicht in dieser Form gesagt haben.
Das IQTIG hat sich leider nicht erweichen lassen, solche Sachverhalte wie das oft nicht eindeutig zu bestimmende Ende einer Behandlung zu berücksichtigen, was von beratenden Expertinnen durchaus angesprochen wurde (s. die Stellungnahmen der Expertinnen zum Abschlussbericht, u.a. auch meine). Das ist aus der Sicht von QS und Auswertungslogistik (braucht Eindeutigkeit) nachvollziehbar, aber bringt für die Psychotherapie Schwierigkeiten mit sich, und auch für die Auswertung: da werden Behandlungen miteinander verglichen, z.B. hinsichtlich Behandlungsergebnis, von denen die einen zuende sind, und die anderen nicht. Das IQTIG hätte diese Problematik zumindest in seinem Bericht und bei der Beschreibung der Indikatoren klar benennen können.

Anonymisierung der Befragungsergebnisse

  • widerspricht dem Ziel der Qualitätsförderung
    Wenn die Psychotherapeutin keine personen- bzw. behandlungs-bezogene Rückmeldung erhält, kann sie die Rückmeldungen nicht in einen Kontext setzen, und somit wenig davon profitieren.
  • macht die Angaben unüberprüfbar
    Patientenangaben sind nicht objektiv, sie sind immer subjektiv gefärbt und können auch falsch sein, z.B. weil die Patienten etwas vergessen oder missverstanden haben, oder weil krankheitsbedingt ihre Wahrnehmung verzerrt ist. Aufgrund der Anonymisierung hat der Psychotherapeut keine Möglichkeit, abzugleichen, ob eine Aussage mit seiner Wahrnehmung und Dokumentation übereinstimmt.
    Apropos Datenvalidierung: Die Angaben der Psychotherapeutinnen in der QS-Dokumentation sollen überprüft und validiert werden. Die Angaben der Patientinnen sind offenbar überhaupt nicht validierungsbedürftig?
  • soll die Patienten schützen – wovor?
    Es scheint für die Patienten gefährlich zu sein, wenn ihre Psychotherapeuten erfahren, wie sie die Behandlung und die Psychotherapeutin wirklich erlebt haben, so dass es „essentiell“ ist, sie davor zu „schützen“? – ein Datenschutz ganz eigener Art.

 

Weitere Aspekte und Vorgehensweisen, zu denen sich mir Fragen stellen:

  • Repräsentativität
    Standard-Pretest: Beteiligte Praxen: 32, Patientenstichprobe n = 100
    Hoher und mittlerer Schulabschluss 87 %, niedriger Schulabschluss 10 %, Muttersprache Deutsch 97 %
    Ist das repräsentativ für die psychotherapeutischen Praxen in Deutschland? Kann daraus z.B. eine allgemein gute Verständlichkeit und leichte Bearbeitbarkeit der Fragen abgeleitet werden?
    Auswahl der Praxen, die am Pretest teilgenommen haben:
    Die Auswahl der Leistungserbringer erfolgte im Hinblick auf ausreichend hohe durchschnittliche Fallzahlen von Patientinnen und Patienten … Die Bewerbungen von 28 Praxen konnten im Standard-Pretest aufgrund … sehr geringer Fallzahlen nicht berücksichtigt werden.“  (Abschlussbericht S.72)
    Da psychoanalytische Praxen eher geringe Fallzahlen haben, stellt sich die Frage, wie viele psychoanalytische Praxen am Standard-Pretest teilgenommen haben. Bei der Beschreibung der Stichprobe erfährt man nichts darüber, während es beim kognitiven Pretest noch thematisiert wird (1 psychoanalytischer Patient). – Das wird relevant z.B. beim Thema Erinnerbarkeit, s. unten.
  • Passung der Fragen zu den verschiedenen Therapieverfahren
    Sind die Indikatoren und die Fragen zu den Indikatoren unabhängig vom Therapieverfahren aussagekräftig?
    Ich kann z.B. für meine TP- und AP-Behandlungen sagen: Ich „erkläre“ den Patienten keine Symptome (Frage 11), sondern durch gemeinsame Arbeit finden die Patienten nach und nach die Bedeutung (oder zumindest einiges zur Bedeutung) ihrer Symptome heraus. Zu bestimmten Themen „informiere“ ich sie nicht, sondern ich bespreche die Möglichkeiten mit ihnen, oder wir erarbeiten gemeinsam etwas dazu. Diese Fragen müssten meine Patienten also mit Nein beantworten, und das wäre gute Qualität einer psychodynamischen Behandlung.
    Wie kann man als Psychotherapeutin Therapiesitzungen so gestalten, dass die Patienten KEINE Zeit haben, ihre „Probleme und Sorgen zu besprechen“? (Frage 23) Und hängt die Gestaltung der Sitzung nur von der Therapeutin ab, oder ist das vielleicht ein etwas komplexeres Geschehen? Wenn man nachliest, wie das IQTIG zu solchen Indikatoren (= Defizit in der Versorgung!) und Fragen kommt, findet man einzelne Aussagen aus den Fokusgruppen, die noch dazu teilweise falsch interpretiert werden, s. z.B. hierzu Abschlussbericht S. 138.
  • Erinnerbarkeit
    Reicht es aus, das Thema Erinnerbarkeit so zu testen, wie im Abschlussbericht beschrieben: Anteil der Probanden im Pretest, die „Weiß nicht mehr“ angekreuzt haben, oder die angegeben haben, bei der Beantwortung unsicher gewesen zu sein, war niedrig? Sollte die Erinnerbarkeit bestimmter Fakten (Information/Aufklärung zur Therapie usw.) nicht auch mit der Realität abgeglichen werden?
    Für Behandlungen, die länger als 2 Jahre gedauert haben, kann die Dauer im Patientenfragebogen nicht weiter differenziert werden, es wird nur „24 Monate oder länger“ gefragt. Hat es keinen Einfluss auf die Erinnerung, ob der Beginn einer Behandlung 2 oder 5 Jahre her ist?

Die BPtK und andere setzen sich kritisch mit dem Fragebogen auseinander, u.a. auch mit dem Aspekt, dass Therapieabbrecher aus dem QS-Verfahren herausfallen, und der ungenügenden Risikoadjustierung. Deshalb enthält die Nachbeauftragung des G-BA an das IQTIG zur Patientenbefragung auch Aufträge zur inhaltlichen Überarbeitung.

30.3.2023

Beatrice Piechotta - Rosmarinstr. 12 L  - 40235 Düsseldorf  -  eMail: kontakt@qs-psychotherapie.de